Nicht alle, aber doch viele stille Kinder sind überdurchschnittlich geduldig.
Viele können sich ausdauernd mit einer Sache beschäftigen.
Manche schaffen das sogar bei eher ungeliebten Tätigkeiten.
Grundsätzlich ist das auch eine tolle Eigenschaft!
Die positive Geduld
Toll, wenn sich ein Kind ausdauernd einer Beschäftigung widmet. Wenn Anna ihr Bild liebevoll und detailliert ausarbeitet oder Leon ein riesengroßes Legogebäude baut, dann ist die Geduld, die beide an den Tag legen, eine große Stärke. Josef löst ohne Murren seitenweise Rechenaufgaben und Katrin verfasst einen Aufsatz in wunderschöner Handschrift. (Es soll tatsächlich Josefs und Katrins geben, die Geduld und Hingabe auch bei schulischen Themen an den Tag legen. Als Maßstab sollten sie aber nicht gelten.)
Geduld ist vor allem dann eine sehr positive Eigenschaft, wenn etwas nicht auf Anhieb gelingt und dann geduldig geübt und probiert wird, bis sich Fortschritte abzeichnen. Ein Musikinstrument zu erlernen erfordert (auch) Geduld. Zeichnen, malen, nähen, stricken, Modellbau oder Sport erfordert auch Geduld oder zumindest Ausdauer. Auch die Fähigkeit, sich lange mit Geduldsspielen zu beschäftigen ist toll.
Die negative Duldsamkeit
Manchmal ist diese Eigenschaft aber zu stark ausgeprägt. Es gibt stille Kinder, die zu lang duldsam bleiben. Sie verharren sehr lang in Situationen, selbst wenn diese unangenehm werden. Das Spiel wird langweilig, die Hand verkrampft sich schon vom langen Malen, das 1000 Teile Puzzle ist noch zu schwer, aber das Kind sagt nichts und macht weiter. Das kann aus unterschiedlichen Beweggründen passieren.
- Das Kind fühlt sich noch fremd und traut sich (noch) nicht, ungeduldig zu werden. Das kann sich mit etwas mehr Vertrautheit legen. Gerade in Einrichtungen oder Gruppen ist das oft zu beobachten und sollte sorgsam im Auge behalten werden.
- In der Familie tritt so ein Verhalten vor allem dann auf, außer, wenn das Kind Ablehnung befürchtet oder erfährt. Gerade wenn die Familie Wert darauf legt, dass alles zu Ende gebracht wird, kann sich eine übergroße Duldsamkeit entwickeln. Auch in Familien, in denen ein eher strenger Erziehungsstil vorherrscht, kann ein Kind aus Angst zu lang in unangenehmen Situationen bleiben.
- Das Kind hat erfahren, dass auf seine Wünsche wenig eingegangen wird. Es traut sich nicht, ‚aufzumucken‘, hat vielleicht sogar schon resigniert.
Wann Geduld nicht gut ist
Wenn ein Kind zu duldsam ist, besteht die Gefahr, dass es eigene Bedürfnisse zurückstellt, sie am Ende gar nicht mehr wahrnimmt. Zu große Duldsamkeit kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass sich ein Kind zu viel ‚gefallen lässt‘. Der wichtige Impuls Grenzen zu setzen verkümmert. Grenzen setzen ist aber auch für zurückhaltende Menschen wichtig.
Wenn Sie mit einem stillen Kind zu tun haben, das Ihnen zu duldsam erscheint, können Sie:
- es ermutigen, eine unangenehme Situation zu äußern
- es in der Angemessenheit seines Unmuts bestärken
- ihm erlauben aufzuhören oder eine Pause zu machen
Geduld ist eine tolle Fähigkeit, geht sie doch in der Regel auch mit hohem Konzentrationsvermögen einher. Aber auch hier gilt: „Die Dosis macht das Gift!“. Wird Geduld zur übergroßen Duldsamkeit, dann darf und sollte auch mal gegengesteuert werden.