Ich glaube, das ist ein heißes Thema: Zu dem ruhigen, schüchternen Kind, das sich ‚endlich mal getraut hat‘ einen Wunsch zu äußern, Nein sagen. Gehts da nur mir so, oder ist das noch schwerer als es ohnehin schon ist? Gerade wenn es um solche Themen wie ‚Mama, kannst du mal für mich fragen‘ geht, kann so ein Nein aber ganz besonders wichtig sein.
Der dänische Familientherapeut Jesper Juul hat ein Buch übers Nein sagen geschrieben: „Nein aus Liebe – Klare Eltern – starke Kinder„. Seitdem ich es gelesen und besprochen habe, lässt mich der Gedanke an die stillen Kinder in diesem Zusammenhang nicht mehr los. Ist es nicht ihnen gegenüber besonders schwierig, klar zu bleiben? Zu sich selbst zu stehen, auch wenn das bedeutet, ihnen Wünsche abzuschlagen? Steckt nicht in Schüchternheit auch sowas wie ‚Macht‘? Nicht unbedingt bewusst kalkuliert, aber unterschwellig doch als erfolgreicher Weg?
Nehmen wir mal die Situation auf dem Spielplatz: „Mama, kannst du das Kind im roten Pulli fragen, ob es mit mir spielt?“.
Das ‚übliche‘ Prozedere wäre ja nun, dem stillen Kind gut zuzureden, zu versuchen, ihm zu helfen. Was aber, wenn Mama (oder Papa) freundlich und aus innerster Überzeugung antwortet: „Nein, ich möchte das Kind nicht fragen. Ich möchte jetzt auf der Bank sitzen und mich ausruhen.“
Ein Nein aus Liebe ist auch für stille Kinder wichtig
Die innerste Überzeugung wird wohl die erste Hemmschwelle sein. Können Sie die überwinden? Hand aufs Herz – Ihr Kind kann sich artikulieren, es ist eigentlich alt genug, um selbst fragen zu können. Warum also sollten Sie das für Ihr Kind tun?
- Weil sie es ihm doch nicht zutrauen, dieses Problem selbst zu lösen?
- Weil Sie Angst haben, dass Ihr Kind das Nein als Ablehnung seiner Person betrachtet?
- Weil Sie Angst vor seiner Frustration haben?
- Weil Sie Ihre eigene Unlust, jetzt von der sonnigen Bank aufzustehen und ein fremdes Kind anzusprechen als weniger wert einschätzen als die Ihres Kindes, das selbst zu tun?
- Um des lieben Friedens willen?
- Weil Sie einfach nicht Nein sagen können?
Eigentlich ist es doch einleuchtend, dass Ihr Kind durch Ihr (freundliches und begründetes) Nein die Chance erhält, sich in einer ungemütlichen Situation eine neue und eigene Lösung zu suchen. Durch solche selbstgefundenen Lösungen kann es sich weiterentwickeln und wachsen. Stärker werden, selbstsicherer. Durch das richtige Nein kann es erfahren, dass ein Nein zur Sache keine Ablehnung seiner Person darstellt. Dieses ‚richtige Nein‘ zu lernen ist eine Herausforderung für uns Eltern, denn es darf nicht in die destruktive Richtung abrutschen. Nicht zum Vorwurf werden.
„Ich hab dir doch schon hundertmal gesagt, dass du das endlich selbst machen sollst!“, „Wann wirst du dich endlich mal trauen!“ sind genauso wenig hilfreich wie „Stell dich doch nicht so an!“. Gerade stillen Kindern setzen solche Aussagen oft extrem zu. Wenn sie aber durch liebevolles Nein erfahren dürfen, dass das eben keine Ablehnung ihrer Person beinhaltet, sondern die Eltern ihre eigenen Bedürfnisse artikulieren, dann kann das liebevolle aber klare Nein die stillen Kinder ganz besonders stärken. Zum einen durch die eigenen Bemühungen. Zum anderen aber auch durch die Vorbildfunktion. Denn wie sonst, soll das Kind erfahren, dass es legitim ist, eigene Bedürfnisse zu haben und zu äußern?